Artikel 115a
[Feststellung des Verteidigungsfalls]
(1) Die Feststellung, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt
angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht
(Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des
Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf Antrag der
Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln
der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der
Mitglieder des Bundestages.
(2) Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und
stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche
Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlussfähig, so
trifft der Gemeinsame Ausschuss diese Feststellung mit einer
Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens
der Mehrheit seiner Mitglieder.
(3) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten gemäß
Artikel 82 im Bundesgesetzblatte verkündet. Ist dies nicht
rechtzeitig möglich, so erfolgt die Verkündung in anderer
Weise; sie ist im Bundesgesetzblatte nachzuholen, sobald die
Umstände es zulassen.
(4) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und
sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die
Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen, so gilt diese
Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet,
in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt
diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen.
(5) Ist die Feststellung des Verteidigungsfalles verkündet
und wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, so
kann der Bundespräsident völkerrechtliche Erklärungen über
das Bestehen des Verteidigungsfalles mit Zustimmung des
Bundestages abgeben. Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2
tritt an die Stelle des Bundestages der Gemeinsame Ausschuss.
Artikel 115b [Kommandogewalt des Bundeskanzlers]
Mit der Verkündung des Verteidigungsfalles geht die Befehls-
und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den
Bundeskanzler über.
Artikel 115c [Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des
Bundes]
(1) Der Bund hat für den Verteidigungsfall das Recht der
konkurrierenden Gesetzgebung auch auf den Sachgebieten, die
zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. Diese
Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.
(2) Soweit es die Verhältnisse während des
Verteidigungsfalles erfordern, kann durch Bundesgesetz für
den Verteidigungsfall
1. |
bei Enteignungen
abweichend von Artikel 14 Abs. 3 Satz 2 die Entschädigung
vorläufig geregelt werden, |
2. |
für
Freiheitsentziehungen eine von Artikel 104 Abs. 2 Satz
3 und Abs. 3 Satz 1 abweichende Frist, höchstens
jedoch eine solche von vier Tagen, für den Fall
festgesetzt werden, dass ein Richter nicht innerhalb
der für Normalzeiten geltenden Frist tätig werden
konnte. |
(3) Soweit es zur Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar
drohenden Angriffs erforderlich ist, kann für den
Verteidigungsfall durch Bundesgesetz mit Zustimmung des
Bundesrates die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und
der Länder abweichend von den Abschnitten VIII, VIII a und X
geregelt werden, wobei die Lebensfähigkeit der Länder,
Gemeinden und Gemeindeverbände, insbesondere auch in
finanzieller Hinsicht, zu wahren ist.
(4) Bundesgesetze nach den Absätzen 1 und 2 Nr. 1 dürfen zur
Vorbereitung ihres Vollzuges schon vor Eintritt des
Verteidigungsfalles angewandt werden.
Artikel 115d [Dringliche Gesetzesvorlagen]
(1) Für die Gesetzgebung des Bundes gilt im
Verteidigungsfalle abweichend von Artikel 76 Abs. 2, Artikel
77 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 bis 4, Artikel 78 und Artikel 82
Abs. 1 die Regelung der Absätze 2 und 3.
(2) Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, die sie als
dringlich bezeichnet, sind gleichzeitig mit der Einbringung
beim Bundestage dem Bundesrate zuzuleiten. Bundestag und
Bundesrat beraten diese Vorlagen unverzüglich gemeinsam.
Soweit zu einem Gesetze die Zustimmung des Bundesrates
erforderlich ist, bedarf es zum Zustandekommen des Gesetzes
der Zustimmung der Mehrheit seiner Stimmen. Das Nähere regelt
eine Geschäftsordnung, die vom Bundestage beschlossen wird
und der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
(3) Für die Verkündung der Gesetze gilt Artikel 115a Abs. 3
Satz 2 entsprechend.
Artikel 115e [Gemeinsamer Ausschuss]
(1) Stellt der Gemeinsame Ausschuss im Verteidigungsfalle mit
einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen,
mindestens mit der Mehrheit seiner Mitglieder fest, dass dem
rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche
Hindernisse entgegenstehen oder dass dieser nicht beschlussfähig
ist, so hat der Gemeinsame Ausschuss die Stellung von
Bundestag und Bundesrat und nimmt deren Rechte einheitlich
wahr.
(2) Durch ein Gesetz des Gemeinsamen Ausschusses darf das
Grundgesetz weder geändert noch ganz oder teilweise außer
Kraft oder außer Anwendung gesetzt werden. Zum Erlaß von
Gesetzen nach Artikel 23 Abs. 1 Satz 2, Artikel 24 Abs. 1 oder
Artikel 29 ist der Gemeinsame Ausschuss nicht befugt.
Artikel 115f [Einsatz des Bundesgrenzschutzes - Erweiterte
Weisungsbefugnis]
(1) Die Bundesregierung kann im Verteidigungsfalle, soweit es
die Verhältnisse erfordern,
1. |
den
Bundesgrenzschutz im gesamten Bundesgebiete einsetzen; |
2. |
außer der
Bundesverwaltung auch den Landesregierungen und, wenn
sie es für dringlich erachtet, den Landesbehörden
Weisungen erteilen und diese Befugnis auf von ihr zu
bestimmende Mitglieder der Landesregierungen übertragen. |
(2) Bundestag, Bundesrat und der Gemeinsame Ausschuss sind
unverzüglich von den nach Absatz 1 getroffenen Maßnahmen zu
unterrichten.
Artikel 115g [Bundesverfassungsgericht]
Die verfassungsmäßige Stellung und die Erfüllung der
verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichtes
und seiner Richter dürfen nicht beeinträchtigt werden. Das
Gesetz über das Bundesverfassungsgericht darf durch ein
Gesetz des Gemeinsamen Ausschusses nur insoweit geändert
werden, als dies auch nach Auffassung des
Bundesverfassungsgerichtes zur Aufrechterhaltung der
Funktionsfähigkeit des Gerichtes erforderlich ist. Bis zum
Erlass eines solchen Gesetzes kann das
Bundesverfassungsgericht die zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit
des Gerichtes erforderlichen Maßnahmen treffen. Beschlüsse
nach Satz 2 und Satz 3 fasst das Bundesverfassungsgericht mit
der Mehrheit der anwesenden Richter.
Artikel 115h [Ablaufende Wahlperioden und Amtszeiten]
(1) Während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperioden
des Bundestages oder der Volksvertretungen der Länder enden
sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im
Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten
sowie bei vorzeitiger Erledigung seines Amtes die Wahrnehmung
seiner Befugnisse durch den Präsidenten des Bundesrates enden
neun Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im
Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit eines Mitgliedes des
Bundesverfassungsgerichtes endet sechs Monate nach Beendigung
des Verteidigungsfalles.
(2) Wird eine Neuwahl des Bundeskanzlers durch den Gemeinsamen
Ausschuss erforderlich, so wählt dieser einen neuen
Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder; der Bundespräsident
macht dem Gemeinsamen Ausschuss einen Vorschlag. Der
Gemeinsame Ausschuss kann dem Bundeskanzler das Misstrauen nur
dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit von zwei
Dritteln seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt.
(3) Für die Dauer des Verteidigungsfalles ist die Auflösung
des Bundestages ausgeschlossen.
Artikel 115i [Maßnahmenbefugnis der Landesregierungen]
(1) Sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, die
notwendigen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr zu treffen, und
erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges selbständiges
Handeln in einzelnen Teilen des Bundesgebietes, so sind die
Landesregierungen oder die von ihnen bestimmten Behörden oder
Beauftragten befugt, für ihren Zuständigkeitsbereich Maßnahmen
im Sinne des Artikels 115f Abs. 1 zu treffen.
(2) Maßnahmen nach Absatz 1 können durch die
Bundesregierung, im Verhältnis zu Landesbehörden und
nachgeordneten Bundesbehörden auch durch die Ministerpräsidenten
der Länder, jederzeit aufgehoben werden.
Artikel 115k [Rang und Geltungsdauer von
Notstandsbestimmungen]
(1) Für die Dauer ihrer Anwendbarkeit setzen Gesetze nach den
Artikeln 115c , 115e und 115g und Rechtsverordnungen, die auf
Grund solcher Gesetze ergehen, entgegenstehendes Recht außer
Anwendung. Dies gilt nicht gegenüber früherem Recht, das auf
Grund der Artikel 115c , 115e und 115g erlassen worden ist.
(2) Gesetze, die der Gemeinsame Ausschuss beschlossen hat, und
Rechtsverordnungen, die auf Grund solcher Gesetze ergangen
sind, treten spätestens sechs Monate nach Beendigung des
Verteidigungsfalles außer Kraft.
(3) Gesetze, die von den Artikeln 91a , 91b , 104a , 106 und
107 abweichende Regelungen enthalten, gelten längstens bis
zum Ende des zweiten Rechnungsjahres, das auf die Beendigung
des Verteidigungsfalles folgt. Sie können nach Beendigung des
Verteidigungsfalles durch Bundesgesetz mit Zustimmung des
Bundesrates geändert werden, um zu der Regelung gemäß den
Abschnitten VIII a und X überzuleiten.
Artikel 115l [Aufhebung außerordentlicher Maßnahmen -
Friedensschluss]
(1) Der Bundestag kann jederzeit mit Zustimmung des
Bundesrates Gesetze des Gemeinsamen Ausschusses aufheben. Der
Bundesrat kann verlangen, dass der Bundestag hierüber
beschließt. Sonstige zur Abwehr der Gefahr getroffene Maßnahmen
des Gemeinsamen Ausschusses oder der Bundesregierung sind
aufzuheben, wenn der Bundestag und der Bundesrat es beschließen.
(2) Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrates
jederzeit durch einen vom Bundespräsidenten zu verkündenden
Beschluss den Verteidigungsfall für beendet erklären. Der
Bundesrat kann verlangen, dass der Bundestag hierüber
beschließt. Der Verteidigungsfall ist unverzüglich für
beendet zu erklären, wenn die Voraussetzungen für seine
Feststellung nicht mehr gegeben sind.
(3) Über den Friedensschluss wird durch Bundesgesetz
entschieden. |
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Quelle: Bundesregierung.de
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