Zurück zu Kiki

   Lesbares

      Märchen

Der Nürnberger Trichter

Märchen

  

 

 


Es war einmal ein Büblein, das von einem Spaßvogel erzählen hörte, es gäbe in Nürnberg einen Trichter, mit dem man den Leuten Weisheit, Wissenschaft und Kunstfertigkeit einschütten könnte.
Das war nur, wie gesagt, ein Spaß des Erzählers gewesen, das Büblein nahm’s aber für Ernst.

Und warum wohl?
Weil der Mensch, sei er klein oder groß, nur gar zu gern alles, was ihm lieb und bequem ist, als bare Münze gelten lässt. So auch hätte es freilich dem kleinen Franz sehr wohl behagt, durch den Trichter so mir nichts dir nichts zu lernen, wobei er keine Mühe in der Schule und zu Hause gehabt hätte, sich das einzuprägen, was eben jeder ordentliche Mensch lernen muss.
Kurz und gut, unser Franz hoffte von nun an auf den Nürnberger Trichter, Tag und Nacht. 

Einmal, da der Franz von der Schule heim ging und an seiner Schiefertafel gar schwer trug – denn es hingen auch ein Schwämmchen und ein Stift daran – zog’s ihn auf den Jahrmarkt hin, der zu dieser Zeit gehalten wurde. Was es da zu schauen gibt, das wisst ihr ja selbst. 
Nicht weit von den Kaufläden standen gewisse lustige Buden. Wer kennt sie nicht?
In einer ließ sich ein Taschenspieler sehen, in der anderen zeigte sich ein Elefant, der die Flöte blies; in der dritten war ein Kalb, dass mit acht Füßen geboren war, in der vierten waren Kunstreiter und Seiltänzer. 
Vor allem aber lockte diesmal die Aufmerksamkeit des Knaben ein Mann auf sich, der, als Hanswurst gekleidet, auf einer offenen Bühne stand und zu dem Volkshaufen und den Kindern, sie ihn angafften, gewaltig redete, während ein ihm zu Füßen liegendes Zigeunermädchen allerlei Sachen zum Kauf anbot. Dazu spielte ein Knabe die Trommel, und ein altes Weib blies den Dudelsack. Franz trat immer näher und näher, bis er endlich dicht daran war und wie die anderen Zuschauer das Maul aufsperret, damit, was nicht durch die Ohren ging, durch das offene Tor Eingang fände.

Der Hanswurst schrie mit kreischender Stimme, 
wobei er zur Stärkung der Kehle nicht selten aus dem Bierkrug trank:



„Hochachtbares Publikus,
ehrsam bring ich meinen Gruß,
Herren und Damen, groß und klein,
welche hier versammelt sein,
hört auf mich, den Wundermann,
der erstaunliches wohl kann!
Kaufet meine schönen Sachen, 
die mir niemand kann nachmachen!
Hier ein Gläschen der Tinktur,
alles heilt ein Tröpfchen nur –
hier ein Pflaster rosenfarb,
das kurieret jede Narb‘ –
hier ein gläsern Perspektiv,
zeigt auch um die Ecke schief –
hier ein Wundertrichter auch, 
wie in Nürnberg ist der Brauch,
der die Gabe in sich schließt,
dass euch alles schnell einfließt!“ –



Bei diesen Worten wäre Franz beinahe in Ohnmacht gefallen vor freudigem Schreck. Kaum vernahm er, was der Hanswurst noch alles predigte. Zum Schluss aber dieser wunderbaren Verkündung weckte das Büblein der tolle Lärm des Dudelsacks und der Trommel, dazu noch ein gewaltiger Trompetenstoß, der der Hanswurst selbst auf einer alten Posaune losließ, aus seiner Betäubung.
Der langersehnte Nürnberger Trichter war also gefunden! Zaghaft und vor Angst zitternd fragte Franz das Zigeunermädchen, nach dem Preis solch eines Trichters. „Sechs Kreuzer“, hieß es. O Gloria! Acht Kreuzer hatte Franz in seinem Westentäschlein, die ihm die Großmutter zum Jahrmarkt geschenkt hatte, also um zwei Kreuzer mehr als notwendig! (Dieses schwierige Rechenexempel hättet ihr selbst auflösen können, denn 2 von 8 bleiben 6.) Nun war der Handel bald abgeschlossen, und Franz ging mit seinem Blechtrichter ganz selig nach Hause!

Franz hatte sich durch sein Abenteuer, das heißt durch sein großes Geschäft, etwas verspätet. Vater und Mutter samt den Geschwistern saßen bereits am Mittagstisch. „Kommst du einmal?“, fragte der Vater. „Hast du etwa dein Näslein auf den Markt getragen?“ – „Was hat denn der Franz unterm Arm?“, rief die kleine Schwester Katharine. Franz, mit verklärtem Gesicht dastehend, hob seinen Trichter hoch empor und sprach in bedeutungsvollem Ton: „Vater, ich hab einen Nürnberger Trichter! Jetzt brauchen wir Kinder alle nicht mehr in die Schule zu gehen! Juhe! Juhe! Ich habe den Nürnberger Trichter um sechs Kreuzer gekauft!“ – Was geschah nun? – Die ganze Tischgesellschaft, bis auf die zwei ganz kleinen, die von der Geschichte nichts verstanden, brachen in unmäßiges Gelächter aus. Franz war wie versteinert, als durch den Vater die Aufklärung erfolgte. O bittere Enttäuschung! Die sechs Kreuzer waren fort, und das Schulgehen blieb da! Der kostbare Trichter aber wanderte in die Küche zu den übrigen gewöhnlichen Geräten.

Diesmal schmeckte dem Franz das Essen gar nicht, denn es war ihm aller Appetit vergangen, und nachmittags 2 Uhr hieß es wieder: „In die Schule!“

 

 

Ein Märchen von Franz Pocci  

 

 






































Nach oben

www.kikisweb.de